Offener Brief zum Thema Ferkelkastration an die Abgeordneten des Deutschen Bundestags

Genthin/Magdeburg, 28. September 2018

Sehr geehrte Damen und Herren,

die Entscheidung des Bundesrates vom 21. September 2018, an dem Termin zum Verbot der betäubungslosen Kastration Anfang 2019 festzuhalten, gleicht einem “K. O.-Schlag” für die deutsche Ferkelzucht. Sie fiel gegen den Vorschlag vieler Länder und des BMEL für eine Verlängerung der Frist zur Einführung der Kastration unter Betäubung und stellt uns, die deutschen Ferkelzüchter, vor ein großes Dilemma. Wir appellieren daher an Sie, uns in der Sache zu unterstützen. Aus tiefer Überzeugung sind wir an einer kontinuierlichen Verbesserung der Haltung unserer Tiere interessiert und wollen auch in Zukunft den deutschen Verbraucher mit deutschem Schweinefleisch versorgen. Die LFD-Gruppe würde eine lokale Anästhesie durch den Tierhalter sofort, auch vor dem 01. Januar 2019, umsetzen. Wir sehen darin eine gute Lösung: für die Tiere, den Verbraucher und die Betriebe.

Denn es gibt keine andere Möglichkeit für die deutschen Landwirte, das Gesetz ab 01. Januar 2019 flächendeckend so umzusetzen, wie es nach dem Beschluss des Bundesrates zwingend wäre: Der Verkauf von Eberfleisch wird von den Handelsorganisationen, den Schlachthöfen und den Verarbeitern abgelehnt, und für die weitere Durchführung der Kastration gibt es in Deutschland rechtlich keine flächendeckende praktikable Lösung.

Besonders existenzbedrohend für die deutschen Ferkelzüchter ist dabei auch folgende Tatsache: in den Hauptexportländern für lebende Ferkel (aus denen schon jetzt über 25 Prozent der deutschen Erzeugung kommen) wurden den ausländischen Wettbewerbern durch die dortige Gesetzgebung die weitere Kastration ermöglicht. D.h. der Einkäufer von Ferkeln in Deutschland hat daher künftig die Wahl zwischen kastrierten Ferkeln aus dem Ausland oder Ebern aus Deutschland.

Die aktuell zugelassenen Verfahren zur weiteren Kastration sind in der Praxis nicht praktikabel. Lassen Sie mich kurz erläutern warum:

1. Kurzzeitige Inhalationsbetäubung mit Gas Isofluran (aktuell läuft noch das Zulassungsverfahren):

a. Klimarelevantes Gas, schädigt die Atmosphäre
b. Schädlich für die behandelnden Menschen, z.B. Leberschäden, Übelkeit etc.
c. Muss bei Anwesenheit eines bzw. durch einen Tierarzt/es durchgeführt werden

2. Langzeitige Betäubung durch das Narkosemittel Ketamin/Azeparon

a. Führt zu bis zu fünf Stunden Betäubung (Ferkel müssen alle zwei Stunden Milch aufnehmen)
b. Tiere sind während der Aufwachphase verstärkt von Erdrückung bedroht
c. Mögliche Komplikationen, wie bei jeder Vollnarkose, z.B. Hypothermie (Unterkühlung)
d. Muss bei Anwesenheit eines bzw. durch einen Tierarzt/es durchgeführt werden

Generell gilt für beide Verfahren: die dafür zwingend nötigen Tierärzte sind gar nicht verfügbar und werden es auch künftig nicht sein! Es gibt derzeit in Deutschland (2017) nach offiziellen Angaben der Tierärztekammer rund 1.125 Tierärzte, die im Bereich Nutztiere arbeiten, davon ungefähr 250 im Bereich Schweinezucht. Jedes Jahr kommen von den 850 Uni-Absolventen maximal 30 im Bereich Nutztier/Schwein an. Unterstellt man, dass ein approbierter Tierarzt (mit hohem Numerus Clausus und nach mindestens fünf Jahren Studium) bereit wäre, in Vollzeit und ausschließlich alle 30 Sekunden ein Ferkel zu betäuben, dann benötigen wir in Deutschland ab 01. Januar 2019 rein rechnerisch zusätzlich 150 Tierärzte, die den ganzen Tag nichts anderes machen, als Ferkel zu betäuben. Das ist völlig unrealistisch.

Allein aus dieser Betrachtung scheiden für den deutschen Markt diese beiden Alternativen aus!

In den wesentlichen Exportländern für Ferkel innerhalb der EU (ca. 25 Prozent, Tendenz stark steigend) haben die dortigen Gesetzgeber rechtzeitig für in der Praxis gut anwendbare Verfahren gesorgt, die auch vom QS-System anerkannt sind:

  • In den Niederlanden ist die CO2-Betäubung durch den Landwirt erlaubt. Diese so kastrierten Ferkel gehen überwiegend in den Import nach Deutschland.
  • In Dänemark (wie auch in Norwegen und Schweden) ist die lokale Anästhesie durch den Landwirt erlaubt. Diese so kastrierten Ferkel gehen in den Import nach Deutschland.

Das bedeutet nach jetziger Sachlage, dass ein Schweinemäster in Deutschland wie beschrieben weiterhin guten Zugang zu kastrierten Import-Ferkeln hat, wohingegen eine flächendeckende Kastration in Deutschland rechtskonform nicht mehr stattfinden kann, da der deutsche Gesetzgeber keine praktikable Lösung (wie z.B. die lokale Anästhesie durch den Landwirt, wie es in den wesentlichen Export-Ländern möglich ist) zugelassen hat.

Dem deutschen Ferkelerzeuger bleibt letztlich nur noch der Verkauf von Ebern. Der deutsche Lebensmittelhandel, die Schlachtindustrie wie auch die Verarbeiter haben sich bisher jedoch nicht auf die Nutzung von Ebern eingerichtet. Diese Tiere werden nur mit deutlichen Preisabschlägen bzw. gar nicht nachgefragt.

In einzelnen EU-Ländern (z.B. England, Spanien, Niederlande, also im EU-Binnenmarkt) ist die Ebermast weithin umgesetzt, teilweise unter Nutzung von Improvac (verzögert die Geschlechtsreife der Tiere). Auch hier hat der deutsche Gesetzgeber keine rechtzeitigen Rahmenbedingungen gesetzt, die eine Umsetzung der Ebermast beschleunigen könnten.

Wenn sich an der durch den Beschluss des Bundesrates zur Ferkelkastration herbeigeführten Situation nichts ändert, ist bereits heute abzusehen, dass in naher Zukunft unser in Deutschland verzehrtes Schweinefleisch zu einem überwiegenden Teil aus dem Ausland kommen wird. Die Folgen sind: noch weniger Kontrollen, längere Tiertransporte, kaum noch regionale Angebote. Und das bei Schweinefleisch, einem hoch veredelten Lebensmittel und zentralen Bestandteil der deutschen Ernährung.

Die Schweinehaltung repräsentiert für die Landwirtschaft lt. Bauernverband aktuell einen Produktionswert von 6,9 Mrd. Euro, Wertschöpfung und Umsätze der nachgelagerten Fleischwirtschaft nicht mitgerechnet. Auch zeigen die aktuellen Folgen der Afrikanischen Schweinepest (Sperrbezirke, Exportverbote) in Nachbarländern wie Polen und Belgien, wie wichtig eine hochwertige und breit aufgestellte nationale Ferkelzucht und Schweinemast ist.

Die heutige Politik wird zur Totengräberin einer regionalen und von Familienbetrieben getragenen hochqualitativen deutschen Erzeugung von Schweinefleisch mit einem nicht unbeträchtlichen volkswirtschaftlichen Gewicht.

Bitte tun Sie etwas dagegen und stimmen Sie zunächst der von vielen Ländern, dem BMEL sowie den Verbänden des ländlichen Raums vorgeschlagenen Verlängerung der Frist zur Einführung der Kastration unter Betäubung zu und, genauso wichtig, schaffen Sie für unsere Branche verlässliche gesetzliche Rahmenbedingungen, die sowohl das Tierwohl berücksichtigen als auch den in der EU üblichen, ebenfalls strengen Maßstäben entsprechen.

Mit freundlichen Grüßen

Jörn F. Göbert

Vorsitzender der Geschäftsführung der LFD Holding GmbH